Die richtigen Fragen stellen

von Martina Renner und Sebastian Wehrhahn

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Eine Welle rechter Gewalt, Enthüllungen über rechten Terror und skandalöses Agieren der Sicherheitsapparate sind Normalität geworden. Wo bleiben Empörung und Gegenwehr?

Was verstehen wir heute unter rechtem Terror? Unsere bisherige Definition lautete: Organisierte und klandestine Strukturen der extremen Rechten verbreiten durch Anschläge mit Waffen und Sprengstoff Angst unter ihren Opfern und deren Umfeld und senden so auch ein Signal in die Gesellschaft. Dafür brauchte es keine Erklärungen. Allein die Wirkung war Botschaft genug. Über diese Formen und Strukturen – vom NSU über die »Oldschool Society« bis zur Freital-Gruppe – wissen wir heute relativ viel. Aber dort, wo die Taten nicht so offensichtlich sind, wie zum Beispiel beim Münchner Attentat vom Juli 2016, fehlen uns Wissen und Analyse. Wir haben nach dem Münchner Anschlag eine große politische Sprachlosigkeit erlebt, obwohl die Auswahl der Opfer rassistisch war und der Täter Adolf Hitler und Anders Breivik verehrte. War das Rechtsterror? Wir haben in diesem Fall den Behörden die Deutung überlassen. Niemand redet mehr über die Tat. Hier gab es einen Einzeltäter, der ein rassistisches Weltbild hatte. Dafür brauchen wir vielleicht einen neuen Begriffsapparat. Bei Islamisten ist für die Behörden schnell klar: Der Täter hat sich im Netz radikalisiert, hat zehn Videos des IS auf Youtube angesehen, ist dreimal in die Moschee gegangen und hat dann die falschen Leute kennen gelernt – fertig ist der islamistische Terrorist. Haben wir es heute im Neonazismus mit ähnlichen Mustern zu tun?

Wir erleben gerade eine Übergabe der braunen Staffelstäbe. Die Generation der rechten Täter der 1990er Jahre spielt im Hintergrund erneut eine wichtige Rolle. So deuten wir auch zum Beispiel das Zusammentreffen von Thorsten Heise und Will Browning von »Combat 18« (C18) im Sommer bei einem Aufmarsch in Dortmund oder die Reanimierung von Strukturen von C18 oder dem »Ku Klux Klan«. Diese alten Neonazis sind heute nicht notwendigerweise selbst die Täter, sondern wittern eine neue Rolle in der Morgenluft des heutigen Rechtsterrorismus. Für diese These gibt es Indizien. Aber wir sind unsicher, ob man sie verallgemeinern kann. Es gibt nämlich auch Täter, über die wir zu wenig wissen. Ungeklärt ist auch, woher kommen die Sprengstoffe und Waffen? Und wir müssen uns fragen, ob es nur subkulturelle Bezüge auf alte Strukturen sind oder ob es erneut organisierte Formen der europäischen Vernetzung gibt, wenn heute auf Twitter ein Account von C18 auftaucht oder ein Angeklagter im Verfahren gegen die Neonazi-Schläger von Ballstädt in Thüringen ein C18-Tattoo trägt?

Die Ereignisse überschlagen sich: Skandale bei der NSU-Aufarbeitung, vernichtete Akten, skurrile Vorgänge im Mordfall »Peggy« im Zusammenhang mit Neonazis, die Verhaftung des Attentäters von Düsseldorf-Wehrhahn. Doch was ausbleibt, ist sowohl die gesellschaftliche Empörung als auch die antifaschistische Organisierung. In den 1990ern hat es nach der Serie militanter Neonazi-Anschläge ein paar Jahre gedauert, bis eine Antifa-Bewegung entstand, die in manchen Gegenden die Nazis zurückdrängte und breite Bündnisse initiierte. Warum bleibt dieser Effekt heute aus? Dabei geht es nicht um wohlfeiles Fingerzeigen auf die Versäumnisse der Anderen sondern um Fragen, auf die wir als AntifaschistInnen gemeinsam Antworten finden müssen.
Im Fall des NSU war die konservative Seite erfolgreich, die Erzählung zu übernehmen: Es sind angeblich immer Einzeltäter. Wenn das nicht mehr zu halten ist, räumen die Behörden ein: Es war ein »Trio« oder eine »Zelle«, aber nicht mehr. Aber in Wahrheit waren es immer Netzwerke. Es ist wahrscheinlich, dass es im Anschluss an den Münchner Prozess kein Verfahren gegen die weiteren neun namentlich bekannten Beschuldigten geben wird. Wenn der Generalbundesanwalt das so entscheidet und es nicht gelingt, einen gesellschaftlichen Aufschrei zu organisieren, dann ist das für die Opfer des NSU eine Katastrophe und für uns eine Niederlage.

In den fünf Jahren seit dem Auffliegen des NSU gab es einen immensen Normalisierungsprozess. Alle haben sich daran gewöhnt, dass es alle paar Wochen Neuigkeiten gibt, die früher jeweils ein Skandal geworden wären. Selbst wir sind müde, dazu überhaupt noch eine Pressemitteilung zu schreiben. Die erfolgreiche Strategie in den Staatsapparaten ist die Behauptung, die reguläre Arbeit der Dienste sei in Ordnung, die Skandale nur die Ausnahme. Und so mussten Einzelne zwar ihren Hut nahmen und manches wurde zum Skandal – die Strukturen hingegen erhielten mehr Geld und mehr Befugnisse.

Was haben wir zu tun? Wir müssen glaubwürdig darstellen, dass der Skandal in der Normalität besteht. Wir dürfen unser Empörung nicht der Empörungs-Ökonomie des Gegners anpassen, die immer nur auf Ausnahmen zielt. Und wir müssen unsere Empörung verständlich übersetzen – auch für Menschen, die nicht seit fünf Jahren NSU-Akten wälzen. Wir müssen einordnen, was akut passiert und müssen überlegen, wie wir rechte Strukturen schwächen können. »Wenn die Verbrechen sich häufen, werden sie unsichtbar«, schrieb Brecht. Das könnte für uns heißen: Um der Gefahr Einhalt zu gebieten, müssen wir sie erst sichtbar machen.