Die »Identitäre Bewegung« in Österreich

von Bernd Schulter
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 163 - November 2016

Aktivistisches Sammelbecken mit uneindeutiger Agenda

^ Martin Sellner redet am 17. Juni 2016 in Berlin

Kaum eine ihrer Aktion wurde nicht öffentlich diskutiert und »analysiert«. Führender Kopf: Martin Sellner, Leiter der »Identitären Bewegung Österreich« (IBÖ). Vielfaches Fazit: Bei der Bewegung handle es sich um eine »junge, ­dynamische und aktionsorientierte« Form der »Neuen Rechten«. Was bei dieser Selbstinszenierung vergessen wird: Wirklich neu ist daran nur wenig.
Derzeit gliedert sich die IBÖ in die vier Landesgruppen Steiermark, Salzburg, Wien und Niederösterreich sowie die Arbeitsgruppen »Theorie« und »Fund­raising«. Martin Sellner und Patrick Lenart treten als Sprecher auf. Hinter der Bewegung steht der »Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität«, dem wiederum Thomas Sellner vorsitzt, der Bruder des IBÖ-Leiters und zugleich Leiter der Landesgruppe Niederösterreich.

Unbekannte Spenden

Offizielle Mitgliederzahlen wie auch genaue Finanzquellen werden versucht geheim zu halten. In einem Tweet der IB wird behauptet, über ein neues Konto in Ungarn zu verfügen. Allerdings forciert Sellner den Austausch mit dem deutschen Think-Tank »Institut für Staatspolitik« (IfS) und dessen Vorfeldorganisation »Ein Prozent«, wobei nach Informationen der Tageszeitung »Der Standard« mehrere tausend Euro geflossen sein sollen. Von Beginn an erforderte der Auf- und Ausbau der IBÖ die Zuwendung privater SpenderInnen. Dafür schuf der Verein die AG »Fundraising«, angeleitet durch Edwin Hintsteiner, ehemaliger Leiter der IB Salzburg. In ihrem Halbjahresbericht 2016 gibt die IBÖ an, von mehreren hundert PrivatspenderInnen finanziert zu werden. Ihren Angaben folgend floss dieses Geld in die juristische Absicherung der Kader, in den Aufbau von Infrastrukturen und die Organisation von Aktionen. Ob hier auch Gelder aus dem von Martin Sellner betriebenen Versandhandel «Phalanx« eine Rolle spielen, bleibt offen.

Etablierungsversuche

Zwar konnte die IBÖ seit 2014 durchaus wachsen, augenscheinlich ist jedoch, dass sie ihre Strukturen bislang fast ausschließlich in Städten festigte, in denen bereits ein stark ausgeprägtes völkisches Burschenschaftsmilieu existiert, wie in Wien, Graz und Linz. Die zentralistische Ausrichtung auf die österreichische Hauptstadt verhindert zudem, dass die IBÖ bedeutenden Einfluss außerhalb des urbanen Raums entfaltet. Allerdings zeigen die »Herbstakademie« des IfS in Graz und das »Europäische Forum« in Linz im Oktober dieses Jahres, dass sich die gesamte extreme Rechte in Österreich und darüber hinaus derzeit intensiv vernetzt und organisiert. Die Kontakte zu ausländischen Organisationen ermöglichen auch größere Aufmärsche, wie im Juni in Wien, mit über 600 teils extrem gewaltbereiten Teilnehmenden aus mindestens sechs Ländern.
Die identitären Ableger außerhalb Wiens mit ihren Versuchen sich als »patriotische Jugendarbeit« zu inszenieren und im Stil von »Casa Pound« Kulturzentren zu eröffnen, deuten darauf hin, dass die IBÖ daran arbeitet, eigene Strategien der Etablierung jenseits der Städte zu finden. In diesem Kontext muss auch die Entwicklung einer Führungsstruktur gesehen werden. Zahlreiche Kader sind in völkischen Verbindungen korporiert oder bewegten sich vor ihrem Engagement in der IBÖ im neonazistischen Spektrum. Allen voran Martin Sellner, der 2008 noch an einer Gedenkveranstaltung für einen NS-Luftwaffenpiloten in Wien teilnahm, bei der auch der mehrfach verurteilte Holocaustleugner Gottfried Küssel anwesend war.
Trotz ihres Wachstums brachte die Bewegung kaum neue öffentlichkeitswirksame Personen hervor. So wurden bis auf wenige Infotische im ländlichen Raum viele Aktionen immer wieder von denselben Kadern organisiert. Die Versuche, junge Frauen aus ihren Reihen medienwirksam zu inszenieren, können darüber kaum hinwegtäuschen. Außerdem werden wichtige AkteurInnen gezielt dazu eingesetzt, in weiteren österreichischen Städten sowie in Deutschland Strukturen aufzubauen.

Inhaltliche Differenzen

Ideologisch zeigt sich die Mischung aus (Ex-)Neonazi-AktivistInnen, völkischen Burschenschaftern und neuen Mitgliedern in der Uneindeutigkeit der politischen Agenda. Bis auf das Verschwörungsnarrativ des »Großen Austauschs« und die Ethnisierung sozialer Konflikte mittels antimuslimischen Rassismus gibt es bei der IBÖ nur wenig Einigkeit. Auch wenn Martin Sellner das Gesicht der Bewegung ist, so haben sich hinter ihm längst verschiedene AkteurInnen mit den unterschiedlichsten Ansichten gesammelt. Noch sind es Kader wie Sellner, die das Gewaltpotential der Bewegung begrenzen, weshalb bewaffnete Angriffe wie die auf TeilnehmerInnen einer antifaschistischen Demonstration im Januar dieses Jahres in Graz bisher die Ausnahme waren.
Ein Beispiel für die inneren Differenzen ist die vermeintliche Degradierung von Alexander Markovics vom Vorsitz der IBÖ zum Leiter der eigens für ihn geschaffenen »AG Theorie«. Seine Kontakte zu allerlei faschistischen, neonazistischen und »eurasischen« Ideologien, wie sie Alexander Dugin vertritt, wurden selbst seinen Kameraden zu unangenehm.
Trotz dieser internen Kämpfe hat sich die IBÖ mittlerweile als feste und hervorragend vernetzte Größe im außerparlamentarischen rechtsextremen Spektrum verankert. Gerade wegen ihrer zentralistischen und führer­fixierten Struktur ist sie außerordentlich aktionsfähig und im deutschsprachigen Raum Vorbild und tonangebende Gruppe zugleich – eine Position, die sie sich so schnell nicht streitig machen lassen wird.