AfD erntet

von Frank Metzger und Vera Henßler (apabiz)
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 163 - November 2016

Mit dem nördlichen Lichtenberg verhält es sich ähnlich: Auch hier war die Region bei den Wahlen 2011 eine Hochburg extrem rechter Parteien, auch hier hatte es ab Dezember 2014 Proteste gegen den Bau einer Containerunterkunft für Geflüchtete gegeben. Dem AfD-Direktkandidaten Kay Nerstheimer gelang der Einzug in das Abgeordnetenhaus. Die Personalie Nerstheimer wurde nach den Wahlen bundesweit medial aufgegriffen, weil er auf seiner Facebook-Seite unter anderem gegen Geflüchtete und Homosexuelle gehetzt hatte. Auf die umfassende Berichterstattung reagierte die AfD kurz nach der Wahl: Nerstheimer wurde aus der Fraktion ausgeschlossen und einmal mehr ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn angekündigt. In Berlin war die Personalie bereits im Vorfeld der Wahlen in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Die Lokalpresse inklusive Fernsehbeiträge in der RBB-Abendschau hatten mehrfach darüber berichtet, Nerstheimer habe sich 2012 im Internet als Leader der »German Defence League« zu erkennen gegeben und angekündigt, eine Miliz aufzubauen.

Motive und Stimmungslagen

Dass die AfD trotz offenkundiger Einbindung von Teilen ihrer Funktionäre in ein extrem rechtes Netzwerk 14,2 Prozent erreichte und ausgerechnet Nerstheimer in seinem Wahlkreis das beste Ergebnis holte, lässt verschiedene Interpretationsversuche zu, die zusammengenommen sicherlich ein annähernd realistisches Bild über die WählerInnenklientel der Partei zeichnen.

1) Ganz offensichtlich haben die Hintergrundinformationen trotz ihrer Brisanz viele WählerInnen nicht davon abbringen können, ihre Stimme einem AfD-Direktkandidaten zu geben, der für die Aufbaupläne einer Miliz in der Öffentlichkeit bekannt war. Eine Erklärung dafür wäre, dass den AfD-WählerInnen die Kontakte einiger Funktionäre der Partei in die extrem rechte Szene egal sind, oder diese zumindest nicht als ausreichend relevant erachtet werden. Dafür sprechen gleich mehrere Umfrageergebnisse, die von infratest dimap veröffentlicht wurden. So seien nur 26 Prozent der Berliner AfD-WählerInnen von der Partei überzeugt, für 69 Prozent war vor allem die »Enttäuschung über andere Parteien« ausschlaggebend. Hinzu kommt, dass 51 Prozent der Berliner AfD-WählerInnen sogar der Meinung sind, die AfD distanziere sich nicht genug von extrem rechten Positionen. Dieser Teil der AfD-AnhängerInnenschaft kann sicherlich noch am ehesten dem ProtestwählerInnenmilieu zugerechnet werden.

2) Dreht man das letztgenannte Ergebnis um, so ließe das den Schluss zu, dass zumindest ein Teil die AfD nicht nur trotz, sondern gerade wegen ihrer Nähe zur extremen Rechten gewählt hat und somit die Entscheidung für Nerstheimer eine bewusste gewesen ist. Diese Annahme wird dadurch untermauert, dass die Flüchtlingspolitik auch für eine Mehrzahl der Berliner AfD-WählerInnen offenkundig eine entscheidende Relevanz hatte. Deutlich wird dies durch weitere Ergebnisse von infratest dimap, wonach über 90 Prozent der AfD-WählerInnen deren Politik hinsichtlich »Ausländern und Flüchtlingen« begrüßen, ebenso wie ihr erklärtes Ziel, »die Ausbreitung des Islam in Deutschland (zu) verhindern«.
3) Auch eine dritte Möglichkeit ist relevant: Ein Teil der AfD-WählerInnen könnte von der Problematisierung Nerstheimers in den Medien nichts mitbekommen haben. Durch die starke Fragmentierung der Medienlandschaft und die in den letzten Jahren stark zugenommene Relevanz von sozialen Netzwerken für die politische Meinungsbildung werden die etablierten Medien von einem bestimmten Milieu kaum noch zur Kenntnis genommen.