»Rechtes Plenum« Chemnitz

von Johannes Grunert
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 163 - November 2016

Seit über einem Jahr versucht sich in Chemnitz die Neonazi-Gruppe »Rechtes Plenum« zu etablieren und die Vorherrschaft auf der Straße zu übernehmen. Parallelen zur Neonazi-Szene in Dortmund sind kein Zufall.

 

Das Vereinigungsverbot der »Nationalen Sozialisten Chemnitz« (NSC) im März 2014 hatte die Chemnitzer Szene schwer getroffen. Manche ihrer Mitglieder traten in die Partei »Der III. Weg« im Erzgebirge ein, andere feierten die Wiedergeburt der »Jungen Nationaldemokraten Chemnitz«. Doch aufgrund zahlreicher Differenzen blieb es in der städtischen Neonazi-Szene zwei Jahre lang ruhig. Daran änderte auch die Wiederbelebung der neonazistischen Fußball-Fangruppierung »NS-Boys« nichts – bis sich im vergangenen Jahr eine Gruppierung namens »Rechtes Plenum« gegründet wurde.

Hippe Auftritte – gewalttätige Aktionen

Die Gründung des »Rechten Plenums« schien für einige der Ex-Kameradschafter der NSC eine attraktive Möglichkeit für eine Neuorganisierung zu bieten. Entstanden war eine Gruppe, die soziale Medien geschickt für ihre Propaganda zu nutzen wusste. Die selbsternannten »Nipster« (»Nazi-Hipster«) vermittelten in ihren Auftritten auf Facebook, Tumblr, Instagram und Twitter ein modern-ästhetisches Bild ihrer nationalsozialistischen Ideologie. Hitler und Goebbels wurden offen heroisiert, Ulrich Graf, SA-Gründungsmitglied und Leibwächter Hitlers, erkoren sie zur ihrer Galionsfigur. Andere Rechte, die versuchten, sich vom Bild der Hitler-Verehrer zu lösen, wurden als Heuchler geächtet. Speziell die »Identitäre Bewegung« diente ihnen diesbezüglich als Feindbild.
Auf seiner mittlerweile abgeschalteten Website veröffentlichte das »Rechte Plenum« einen »Appell«, in dem es die Auflösung »aller nationalistischen Parteien zum Wohle der Neugründung einer Einheitspartei völkisch-sozialistischer Ausrichtung« forderte. Erklärtes Ziel des »Rechten Plenums« war es, die Vorherrschaft innerhalb der Szene zu erlangen, um danach die Szene aus der langjährigen Krise zu holen und im Chemnitzer Stadtviertel Sonnenberg einen Angstraum für Nicht-Rechte aufzubauen.

Führende Köpfe aus Niedersachsen

Die neue Kameradschaft entstand, nachdem Patrick Kruse im Jahr 2014 aus Pattensen bei Hannover nach Chemnitz gezogen war. Der 23-Jährige galt schon seit Jahren als nonkonform gegenüber den sturen Kameradschaftshierarchien, wurde aber von vielen auch aufgrund seiner Eigenheiten gemieden. Bekanntheit erlangte er vor allem durch seine vegane Neonazi-Kochshow »Balaclava-Küche« und sein Liedermacherprojekt »Jugendgedanken«. Wegen mehrerer Anschläge und Übergriffe während seiner Zeit bei der Kameradschaft »Besseres Hannover«, unter anderem auf einen Geflüchteten im Hungerstreik, wurde er Anfang 2015 zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Er und Karl Schittko, der ebenfalls aus Niedersachsen stammt, galten zusammen mit einem aus dem erzgebirgischen Lichtenstein zugezogenen »Kameraden«, als Macher der Gruppe. Um dieses Trio schart sich eine Gruppe von 19- bis 28-jährigen Männern und Frauen aus Chemnitz und Umgebung. Drei von ihnen waren seit Jahren in der rechten CFC-Fanszene um die »NS-Boys« aktiv und liefen bei Aufmärschen im Block der NSC mit. Einer kandidierte zudem 2014 bei der Kommunalwahl für die Wählervereinigung »Pro Chemnitz«. Mit M.-A. R. und Nicki S. stießen zwei weitere, bereits in der Vergangenheit aktive Neonazis zur Gruppe. Der 19-jährige Florian M. und die 20-jährige Sandra W. waren zuvor unbeschriebene Blätter.

Moderne Ästhetik und Quartierkampf

Die Kameradschaft orientiert sich in ihrer Ästhetik, die vor allem in Form von Grafiken im Internet propagiert wird, an Vorbildern wie dem italienischen »Casa Pound«, dem spanischen »Hogar Social Madrid« und ukrainischen Nationalisten. Wie bereits die »Autonomen Nationalisten« adaptiert das »Rechte Plenum« linke Symbolik und deutet beispielsweise antifaschistische Songs um. Die Gewaltaffinität, die aus ihrem Propaganda­material spricht, und ihre große Zahl an Kickboxern, die zum Teil auch an Wettkämpfen teilnehmen, muss als reale Bedrohung für alle Feindbilder der Gruppe verstanden werden.
Tatsächlich beabsichtigen die Mitglieder, den in einem »Appell« angekündigten »Quartierkampf«, mit Gewalt und Propaganda auf der Straße durchzusetzen. Als die Gruppe im April 2016 vermehrt versuchte, mit Schmierereien und Aufklebern ein für sich in Anspruch genommenes Revier zu markieren, kam es zu mehreren Übergriffen auf dem Sonnenberg. Eine Gruppe alternativer Jugendlicher wurde bis in eine Kneipe verfolgt, einer jungen Frau auf offener Straße ins Gesicht gespuckt, ein Pärchen beim Einkaufen angegriffen und nicht-rechts aussehende Menschen in ihrem Wohnviertel bedroht. Die dreifache Brandstiftung im April 2016 in einem von vielen MigrantInnen bewohnten Haus, das sich nur 200 Meter vom ehemaligen Treffpunkt des »Rechten Plenums« entfernt befindet, fällt in die Hochphase der Gruppe.
Eine Wohnung in der Chemnitzer Uhlandstraße nutzten die Mitglieder über Wochen zur Planung von Aktionen, als Rückzugsort nach Übergriffen und zur Einbindung neuer Mitglieder. Von dort zogen die Mitglieder des »Rechten Plenums« auch zu ihrer sogenannten »Kiezstreife« los. Gemeinsam mit Chemnitzer Schülern postierten sie sich, vermummt und mit Zaunlatten und Nudelhölzern bewaffnet, vor deren Schule – nachdem man zuvor Stockkampf in der Wohnung in der Uhlandstraße geübt hatte. Mit Aktionen wie dieser schaffte es die Gruppe, eine Kontrolle über ihre vermeintlich »national befreite Zone« zu suggerieren und gleichzeitig eine Erlebniswelt für jüngere, noch weniger stark ideologisierte rechte Jugendliche zu bieten. Auf Facebook wurde die Seite »Kopfsteinpflaster«, die als Blog für derartige Aktionen fungierte, mit Tausenden von Likes belohnt.

Innenministerium – ahnungslos

Das Sächsische Innenministerium behauptete in den Antworten auf zwei Kleine Anfragen von Kerstin Köditz (Mitglied des Landtages, »Die Linke«), bei »Kopfsteinpflaster« handle es sich um den Namen der Gruppe. Das Innenministerium schätzte ihre Stärke auf »mindestens elf Mitglieder«. Exakt diese Zahl an Personen findet sich auf einem Bild der beschriebenen »Kiezstreife«. Außer Sprühereien, die mit der Gruppe in Verbindung gebracht werden, konnte das Ministerium nichts berichten. Im »Rechten Plenum« sieht das Ministerium »keine sächsische Organisation«. Nur eine in den Sozialen Netzwerken verkündete Aktion der Gruppe war dem Ministerium zur Zeit der Anfrage bekannt. Die örtliche Polizei zeigte sich der Gruppe gegenüber unbeholfen. Selbst als man Mitglieder des »Rechten Plenums« mit einem Banner vor ihrer Wohnung antraf, konnten diese sich weiteren Maßnahmen entziehen, indem sie sich ins Haus zurückzogen. Teile der antirassistischen Zivilgesellschaft auf dem Sonnenberg behalfen sich inzwischen damit, beklebte Laternen vom lokalen Energieversorger reinigen zu lassen oder mit Wolle zu umhäkeln, um ein weiteres Bekleben zu verhindern.

Dortmunder Zustände in Chemnitz

Als Gegenstrategie in einem von militanten Neonazis für sich beanspruchten Stadtviertel reichen solche Aktionen allerdings nicht aus, wissen die Journalisten Felix Huesmann und Sebastian Weiermann aus dem Ruhrgebiet. Sie erkennen zahlreiche Parallelen zwischen dem »Quartierkampf« des »Rechten Plenums« und der neonazistischen Raumnahme der Mitglieder des verbotenen »Nationalen Widerstands Dortmund« und dessen Nachfolgepartei »Die Rechte« im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld. Huesmann sieht dabei vor allem Gemeinsamkeiten in der Art der Aneignung des urbanen Raums. In Dortmund seien seit 2004 junge Neonazis in ein Viertel gezogen, in dem es in den Vorjahren kaum antifaschistische Aktivitäten gegeben habe, was auch auf dem Chemnitzer Sonnenberg der Fall ist. Zudem seien an beiden Orten zuvor ältere neonazistische Skinheads im öffentlichen Raum präsent gewesen. Auch ein zentraler Platz als Anlaufpunkt sei Bestandteil der »Nazi-Kiez«-Konzepte. Während der Dortmunder Wilhelmplatz Dreh- und Angelpunkt der Neonazis um Christoph Drewer, Dennis Giemsch, Michael Brück und ihrer Parteikameraden geworden ist, haben die Chemnitzer Neonazis den Sonnenberger Lessingplatz als Treffpunkt auserkoren.
In seiner Bewertung über die Zustände in Dortmund bemängelt Sebastian Weiermann das Fehlen zivilgesellschaftlicher Gegenaktivitäten. Die antifaschistische Szene habe zwar versucht, gegen die rechte Verbreitung im Viertel mobil zu machen, dies sei von der Zivilgesellschaft jedoch größtenteils ignoriert worden. Bewusst hätten die Neonazis auf Konfrontation mit der im Viertel stark vertretenen migrantischen Community verzichtet. Anders wäre der Aufbau der rechten Strukturen gar nicht möglich gewesen. Man dürfe das Raumnahmekonzept der Neonazis nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern müsse potentiell Betroffene rechter Gewalt über die Bestrebungen aufklären und immer wieder auf die Strategie der Rechten hinweisen. Nur so könne verhindert werden, dass der Sonnenberg sich zu einem Angstraum entwickle, wie es in Dorstfeld seit Jahren der Fall ist.
Die Gemeinsamkeiten zwischen Dorstfeld und den Bestrebungen auf dem Sonnenberg sind kein Zufall: Seit Jahren gibt es gute Verbindungen zwischen Chemnitzer und Dortmunder Neonazis. Bereits zu Zeiten der NSC besuchten sich die Kameradschaften gegenseitig und nahmen wechselseitig an Aufmärschen teil. Die »NS-Boys« und die Dortmunder »Borussenfront« pflegen eine enge Beziehung. Faktisch wurde das Konzept und die Symbolik des »Nazi-Kiezes« seitens der Chemnitzer aus Dortmund übernommen, ebenso ähneln sich der Wortlaut zahlreicher Schmierereien und die vom »Rechten Plenum« angebrachten Aufkleber mit jenen in der Ruhr-Metropole.

Interne Differenzen – anhaltende Gewalt

Am 28. Mai 2016 hatte das »Rechte Plenum« in einen stillgelegten Steinbruch nördlich von Chemnitz geladen, um mit TeilnehmerInnen aus Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und der Region Chemnitz militantes Vorgehen bei Versammlungen zu üben. Kruses Freundin Maria Fank aus Berlin hielt einen Vortrag zum Thema »Rechtssicherheit«. Eine zweite, für Juni geplante Veranstaltung unter dem Namen »Kiez-Schulung« wurde kurzfristig abgesagt. Seitdem wurde es zunächst ruhiger um das »Rechte Plenum«. Einzelne Einträge von Mitgliedern in sozialen Medien deuten auf interne Streitigkeiten hin. Nachdem Facebook mehrmals Seiten aus dem Kreis der Gruppierung löschte und auch die Website abgeschaltet wurde, ist vom »Rechten Plenum« als Gruppe kaum mehr etwas zu vernehmen. Auch die Wohnung in der Uhlandstraße konnte offenbar nicht mehr genutzt werden. Dennoch sind die Bestrebungen, auf dem Chemnitzer Sonnenberg, eine »National Befreite Zone« zu errichten, nicht vorbei. Seit September 2016 häuften sich mit dem Zuzug eines weiteren Gruppenmitglieds wieder rechte Sprühereien. Massive Sachbeschädigungen am Büro der Landtagsabgeordneten Susanne Schaper (»Die Linke«) führten dazu, dass Schaper von ihrem Vermieter gekündigt wurde. Damit kamen die Neonazis ihrem Ziel, die politische Vorherrschaft auf dem Sonnenberg zu übernehmen, ein Stück näher – auch dank der geringen öffentlichen Aufmerksamkeit und mangelnder zivilgesellschaftlicher Gegenwehr.