Rechter Terror in Europa

von David Williams, von Anne Jessen, von Toni Brandes, von Bernard Schmid


Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Bei der nun seit fünf Jahren andauernden Aufarbeitung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« gerät bei Etlichen aus dem Fokus, dass rechter Terror weder ein neues Phänomen noch eines ist, das an der Landesgrenze halt macht.

 

Gedenken an die ermordete Jo Cox

 

Großbritannien
von David Williams

Die britische extrem rechte Szene bedient sich einer gewalttätigen Rhetorik. Aber trotz all der »harten Diskussionen« über »bevorstehende Rassen-Kriege« gibt es derzeit keine rechtsgerichteten Terrorgruppen in Großbritannien. Ohne kohärente Strukturen ist die terroristische Bedrohung durch Rechte eher das Werk von »Solo Actors« – ein passenderer Begriff als »Lone Wolf«, den rechtsgerichtete TerroristInnen benutzen, um ihre eigenen Handlungen zu mystifizieren.
Bis zum Mord an der »Labour«-Abgeordneten Jo Cox im Juni durch Thomas Mair, einen Mann mit alten Verbindungen zur extremen Rechten, hatte Großbritannien lange Zeit das Glück, keine wesentlichen Attentate durch Rechtsterrorismus erleben zu müssen. Der letzte Bombenanschlag wurde im April 1999 vom ehemaligen »British National Party«-Aktivisten David Copeland begangen. In London detonierten drei Nagelbomben und töteten drei Menschen, über 140 wurden zum Teil schwer verletzt. Ziel seiner Sprengsätze waren Menschen nicht-weißer Hautfarbe und die schwul/lesbische Szene. Die Behörden haben seitdem die meisten Terrorpläne im Vorfeld vereiteln können. Im Jahr 2011 kamen 17 extrem Rechte wegen terroristischer Straftaten in Haft, im Folgejahr waren es 14. Für die letzten Jahre wurden keine eindeutigen Zahlen veröffentlicht.
Beispielhaft ist der Fall von Ian und Nicky Davison, Vater und Sohn, die wegen der Herstellung von Sprengstoff im Jahr 2010 zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Häufig jedoch sind diese Möchtegern-Terroristen ebenso eine Gefahr für sich wie auch für andere. 2014 verlor ein Teenager, der mit anti-muslimischen Gruppen sympathisierte, beide Hände beim Versuch zu Hause eine Bombe zu bauen. Eine Ausnahme war Pavlo Lapshyn, ein ukrainischer Student, der nur fünf Tage nach seiner Ankunft in Großbritannien einen älteren muslimischen Mann ermordete und dann eine Serie von kleinen Bomben an mehreren Moscheen in den West Midlands detonieren ließ.
Das 2011 von Anders Breivik in Norwegen verübte Massaker veranlasste die britische Regierung, die Schlagkraft der »National Domestic Extremism Unit« – die Polizeieinheit, welche die extreme Rechte überwacht – zu ‹verbessern›. Der Anti-Terror-Strategie der Regierung unter dem Namen »Prevent« wird häufig vorgeworfen ‹auf dem rechten Auge blind› zu sein und sich zu sehr auf dschihadistischen Terrorismus zu konzentrieren, da »Prevent« extrem rechten Terrorismus als »viel weniger verbreitet, systematisch oder organisiert« betrachtet.
Die aktuelle Ausrichtung von »Prevent« rückte die »anhaltende Bedrohung für unsere Sicherheit durch die extreme Rechte« stärker in den Vordergrund. Zum Beispiel durch das »Channel«-Programm, das Unterstützung und Hilfe für Personen bietet, die »anfällig« für gewalttätigen »Extremismus« sind.
Das 2007 eingeführte Programm macht es möglich, die Bedrohung durch die extreme Rechte zu beziffern. Auf nationaler Ebene wurden von der Einführung bis zum 31. März 2013 insgesamt 2.653 Fälle behandelt. Extrem Rechte machten 14 Prozent der Fälle aus, islamistisch inspirierter Extremismus 70 Prozent. Auf regionaler Ebene verschieben sich die Relationen: in Yorkshire machten extrem Rechte die Hälfte und in den East Midlands 30 Prozent der Fälle aus. Das gibt Anlass zur Besorgnis.

Dänemark
von Anne Jessen

Eine aktive, auf Gewalt fokussierte extrem rechte Szene gibt es in Dänemark schon seit Jahren nicht. Kleinere Gruppen wie die »Danish Defence League« und »Danmarks Nationale Front« hatten in den letzten Monaten im Rahmen von PEGIDA-Aufmärschen Auftritte in der Öffentlichkeit. Dabei treffen sich monatlich zwischen 25 und 40 TeilnehmerInnen und laufen, die dänische Fahne schwenkend, durch das Zentrum Kopenhagens. Ihre islam- und fremdenfeindlichen Slogans entsprechen denen der »Dänischen Volkspartei« und neuer rechter Parteien wie »Die Partei der Dänen« vom ehemaligen Mitglied der »Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung« (DNSB), Daniel Carlsen, und der sogenannten »Neuen Konservativen«, einer Splittergruppe der konservativen Partei.
Anfang der 1990er Jahre war die Szene gewaltaffiner. Ausländerfeindliche Gruppen schickten Drohbriefe an linke und antirassistische Gruppen sowie an Geschäfte von MigrantInnen und Moscheen. Ähnlich wie im benachbarten Deutschland fanden viele Brandanschläge und andere Überfälle statt. Die Angriffe erreichten am 16. März 1992 ihren Höhepunkt. Im Büro der »Internationalen Sozialisten« explodierte eine Briefbombe. Ein 29-jähriger politischer Aktivist und Antirassist wurde getötet. Das Bombenattentat war der erste politische Mord in Dänemark seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Untersuchungen der Polizei waren äußerst mangelhaft, und bis heute wurde der Mord nicht aufgeklärt. Es herrscht jedoch kein Zweifel daran, dass die TäterInnen aus der extrem rechten Szene kamen.
Ende der 1990er Jahre orientierten sich die Gruppen und Personen in und um »Blood & Honour« (B&H) und »Combat 18« (C 18) am Konzept des »führerlosen Widerstandes« wie es der US-amerikanische Neonazi William Pierce in seinen »Turner Diaries« entworfen hatte. Konzepte wie ‹leaderless resistance›, ‹weißer arischer Widerstand› und ‹Rassenkrieg› waren Drehpunkte in ihrem militanten und gewalttätigen Aktivismus.
Mitte Januar 1997 wurden schließlich sieben dänische Neonazis – darunter auch DNSB-Mitglieder und drei führende Personen von B&H und C18 – in der Nähe von Kopenhagen verhaftet. Gleichzeitig wurden bei Malmö im benachbarten Schweden drei unfertige Briefbomben sichergestellt. Die Briefbomben waren an britische Adressaten gerichtet. Bei anschließenden Hausdurchsuchungen in Dänemark wurden Zünder, Sprengstoff und ein Revolver beschlagnahmt. »Blood & Honour« und »Combat 18« waren ein Teil der dänischen Neonazi-Szene, die sehr enge Kontakte zu schwedischen und deutschen gewaltbereiten Neonazigruppen hatte. Viele Jahre wurden über Dänemark verbotene RechtsRock-CDs und Nazimaterial nach Deutschland verschickt. Dabei spielte der 2001 verstorbene deutsche Staatsbürger Marcel Schilf eine wichtige Rolle im Aufbau der Neonazi-Szene in Dänemark. Er wohnte in Dänemark und organisierte gemeinsam mit der DNSB mehrere sogenannte Hess-Märsche mit internationaler Beteiligung in Dänemark. 1994 wurde Marcel Schilf wegen Besitzes von Sprengstoff verurteilt. In den Jahren 1997 und 1998 wurden mehrere deutsche Musikvideos von B&H produziert, die sogenannten »Kriegsberichter«, auf denen unter anderem gegen namentlich genannte und abgebildete dänische AntifaschistInnen Todesdrohungen ausgesprochen wurden.

Österreich
von Toni Brandes

Der Kampf um Südtirol war für den Burschenschafter (»Burschenschaft Olympia«, 1961 verboten) und Vorsitzenden der »Nationaldemokratischen Partei« (NDP, 1988 verboten) Norbert Burger eine Möglichkeit seinen großdeutschen Wahn auszuleben. Nach der Inhaftierung der Gründer des 1959 etablierten »Befreiungsausschuß Südtirol« (BAS) dominierten Burger und seine Neonazis. In den Jahren zwischen 1962 und 1967 fielen über 30 Menschen dem Terror zum Opfer; PassantInnen, italienische Beamte und BAS-Mitglieder. Ernste Konsequenzen hatte Burger in Österreich nicht zu befürchten. In Italien zu lebenslanger Haft verurteilt, wurde Burger 1968 in Wien zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die Schatten, die der 1992 verstorbene rechte Terrorist wirft, reichen bis in die Gegenwart. Der heutige Bundesparteiobmann der »Freiheitlichen Partei Österreichs«, Heinz-Christian Strache, war Anfang der 1990er Jahre mit der Tochter von Norbert Burger liiert. Dadurch öffnete sich für das junge FPÖ-Mitglied das Tor zur neonazistischen Szene. Zeltlager, Wehrübungen, Veranstaltungen: HC Strache war dabei. Von den Neonazis distanzierte er sich später. Norbert Burger hingegen war für ihn ein »Vaterersatz«.
Während es im benachbarten Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren Wehrsportgruppen und -übungen gab, Neonazis Morde begingen und Banken überfielen, war es in Österreich vergleichsweise ruhig. Dennoch gab es Verbindungen zu den »deutschen Kameraden«, so tauchte der in Deutschland verurteilte Ekkehard Weil in Österreich unter und wurde nach einem Hinweis von Norbert Burger gefasst, verurteilt und 1987 nach Deutschland ausgeliefert. In den 1980er Jahren gab es einige Banküberfälle und nicht aufgeklärte Anschläge auf BürgerInnen jüdischen Glaubens.
Die Ruhe in der scheinbar heilen Welt der Alpenrepublik wurde am 3. Dezember 1993 erschüttert. Zwei Briefbomben bildeten den Auftakt einer Serie, die bis 1996 dauerte. Opfer waren Menschen, die sich direkt oder indirekt für die Belange von Minderheiten und MigrantInnen engagierten. Zahlreiche Opfer wurden schwer verletzt oder verstümmelt. In Bekennerschreiben übernahm die »Bajuwarische Befreiungsarmee« die Verantwortung für die Anschläge; auch für den folgenschwersten Anschlag in der Nacht auf den 5. Februar 1995: Bei einer Roma-Siedlung in Oberwart explodierte eine Sprengfalle und riss vier junge Männer in den Tod.
Am 1. Oktober 1997 enttarnte sich der damals 48-jährige Franz Fuchs selbst, als er eine Rohrbombe detonieren ließ und dabei beide Unterarme verlor. Im anschließenden Prozess wurde er 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt und beging im Februar 2000 in seiner Zelle Selbstmord. Der Prozess wurde von der Frage nach dem Motiv von Fuchs und möglichen MittäterInnen dominiert. Die Einweisung in eine »Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher« negierte die extrem rechte Gesinnung des Täters, die er in seinen Bekennerschreiben und vor Gericht zur Genüge präsentierte. Auch legte sich das Gericht früh auf die These »Einzeltäter« fest. Mit beiden Ansichten befand sich das offizielle Österreich in Gesellschaft des damals gängigen Umgangs mit rechtem Terrorismus.

Frankreich
von Bernard Schmid

Nahezu zeitgleich zum Beginn des Münchener NSU-Prozesses – über dessen Hintergründe ausführlich berichtet wurde – gab es eine Debatte um extrem rechte Gewalt rund um den Tod von Clément Méric. Er wurde am 5. Juni 2013 im Alter von 18 Jahren durch einen zwei Jahre älteren Skinhead, Esteban Morillo, erschlagen. Der Täter stand mit der neofaschistischen Kleingruppe unter Führung von Serge Ayoub, »Troisième Voie« (»Dritter Weg«), sowie deren schlagendem Arm – den »Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires« (JNR), also der »revolutionär-nationalistischen Jugend« – in enger Verbindung. Im Juni und Juli 2013 wurden daraufhin ein halbes Dutzend extrem rechte, gewaltorientierte außerparlamentarische Gruppierungen verboten. Zu ihnen zählten »Troisième Voie« und die JNR, aber auch Gruppen, die mit dem Tod von Clément Méric in direkter Weise nichts zu tun hatten, jedoch als gewaltaffin bis offen gewalttätig galten wie die »Jeunesses nationalistes« (JN, »Nationalistische Jugend«) unter Alexandre Gabriac. Seit dem Sommer 2013 hat die Mehrheit der betroffenen Gruppierungen aufgehört zu existieren. Die JN sowie ihre vormalige Dachorganisation, »L’Oeuvre française« unter Yvan Benedetti, setzen freilich unter dem Publikationsnamen »Jeune Nation« (»Junge Nation«) eine Reihe von Aktivitäten fort. Andere Strukturen sind real verschwunden. Serge Ayoub widmet sich seit Anfang 2015 dem Versuch, über einen Motorradclub seine Ideologie zu verbreiten. Rechte Straßengewalt oder gar Rechtsterrorismus ist innerhalb Frankreichs seitdem faktisch kein Thema mehr. Vorläufig scheinen die Verbote eine Lösung geschaffen zu haben. Die extreme Rechte konzentriert sich derweil auf ihre Strukturierung sowie auf das Vorbereiten von Wahlen, ihre Gewalttendenzen hat sie derzeit weitgehend unter Kontrolle.