»Deren Schicksal in den Fokus rücken«

Interview mit Birgit Mair
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Seit November 2013 wurde die Ausstellung »Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen« bereits in über 100 bundesdeutschen Orten gezeigt. Mit Birgit Mair, die die Wanderausstellung konzipierte, sprach Margarete Schlüter von »der rechte rand« über die Hintergründe und Inhalte der Ausstellung, die Reaktionen vor Ort und die Notwendigkeit eines breiten Engagements gegen Rassismus sowie rechtes Denken und Agieren.

 

 

drr: Frau Mair, was waren Ihre Beweggründe, in erster Linie eine Ausstellung zu den Opfern des NSU zu machen und nicht zu den TäterInnen und UnterstützerInnen?
Birgit Mair: In der Presseberichterstattung nach dem Auffliegen des NSU war erstaunlich wenig über die Opfer zu lesen. Das bewog mich, deren Schicksal und Sichtweise in den Fokus zu rücken.

Wie kam der Kontakt mit den Angehörigen der Opfer zustande und wie konnten diese sich in die inhaltliche und bildliche Gestaltung der Ausstellung einbringen?
Mein ursprüngliches Ziel, die Angehörigen zu filmen und direkt zu interviewen, konnte ich nicht umsetzen, da viele Angehörige und Überlebende zum Zeitpunkt der Erstellung der Ausstellung dazu noch nicht bereit waren. Wohl aber haben sie in den Fotoalben gestöbert und mir bis dato unveröffentlichte private Fotos ihrer Liebsten zur Verfügung gestellt. Auch die Kurzbiografien der Ermordeten wurden in Zusammenarbeit mit den Angehörigen erstellt. Der Kontakt kam damals über die Nebenklage-Anwälte zustande.

In der Ausstellung beleuchten Sie auch die Geschichte des NSU, die Einblick in die neonazistische Szene der 1990er Jahre gibt. Darüber hinaus wird eine Auseinandersetzung mit der politischen, polizeilichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Verbrechen des NSU gezeigt. Wie bedeutsam ist diese für die Angehörigen der Opfer des NSU?
Die Angehörigen möchten wissen, warum ihre Ehemänner, ihre Väter, ihre Kinder sterben mussten, wie die Opfer ausspioniert und »ausgewählt« wurden. Weiter möchten viele wissen, warum es den Behörden über 13 Jahre lang nicht gelang, die TäterInnen zu fassen. Einigen wird schmerzlich bewusst, dass ein relevanter Teil des NSU-Netzwerkes nach wie vor frei herumläuft und wohl gerichtlich nicht belangt werden wird. Der Vater von Halit Yozgat bezichtigt den Verfassungsschutz-Mitarbeiter, der zur Tatzeit am Kasseler Tatort war, ein Lügner zu sein. Dass sich mehr als drei Dutzend V-Leute der Verfassungsschutzbehörden im Umfeld des NSU tummelten, fördert nicht gerade das Vertrauen in die staatlichen Instanzen.

In den letzten zweieinhalb Jahren war die Ausstellung in vielen Orten der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Welche Institutionen oder Vereine buchen die Ausstellung?
Seit November 2013 war die Ausstellung bundesweit in mehr als 100 Einrichtungen zu sehen. Die Ausstellungsorte sind ein interessanter Mix aus Schulen, Landratsämtern, Rathäusern, Gewerkschaftshäusern, Landtagsgebäuden, freien Bildungseinrichtungen, KZ-Gedenkstätten, einer Moschee bis hin zu einem Einkaufszentrum in Magdeburg.

Wie waren die Reaktionen vor Ort? Wurde die Ausstellung angenommen? Traf sie auf Ablehnung?
Die Reaktionen waren zum allergrößten Teil positiv. Häufig gelobt wurden die im sachlichen Stil verfassten Biografien der Ermordeten. Häufig beobachtete ich, dass bereits vor dem offiziellen Eröffnungstermin Menschen schon an den Tafeln ‹klebten› – sie werden von den Gesichtern der Ermordeten regelrecht angezogen.
Auf Ablehnung traf die Ausstellung – wie nicht anders zu erwarten – in der Neonazi-Szene. Im Rostocker Rathaus wurde während meines Vortrags ein Stein gegen das Rathausfenster geschleudert. In Berlin-Buch bauten sich Neonazis vor dem Veranstaltungsort auf, in Aschersleben wurden mit Rotstift der Satz »Es lebe die NSU« sowie ein Hakenkreuz an den Ausstellungsplanen angebracht. Letzteres geschah in einer Polizeihochschule.

Sie stellen neben einem Eröffnungsvortrag auch begleitende Bildungsangebote zur Verfügung. Unter anderem werden SchülerInnen zu SchülerInnencoaches ausgebildet, um selbstständig durch die Ausstellung zu führen. Inwieweit ist der NSU bei diesen bekannt und welche Fragen bewegen die Jugendlichen?
Dass hinter dem Kürzel NSU Neonazis stecken, ist der jungen Generation fünf Jahre nach Aufdeckung bekannt. In der Diskussion fallen immer noch Schlagworte wie »Dönermorde« – da sind wir dann schon mitten im Thema. Die jungen Menschen können es häufig kaum fassen, dass über einen so langen Zeitraum hinweg gegen die Überlebenden der Bombenanschläge und gegen die Ermordeten selbst und deren soziales Umfeld ermittelt wurde.

Mit Ihrer Ausstellung tragen Sie zur Sensibilisierung für Rassismus und rechtes Denken und Handeln bei. Wie Sie aufgezeigt haben, ist Rassismus ein gesellschaftliches Problem, das sich auch in Institutionen wie der Polizei wiederfindet. Was braucht es Ihrer Meinung nach, um dem nachhaltig begegnen zu können?
Viele Menschen in Deutschland – aber auch in anderen Ländern – neigen dazu, für die sich verschlechternden sozialen Bedingungen Gruppen von Menschen verantwortlich zu machen, die nicht die VerursacherInnen dieser Probleme sind. Im Moment werden Muslime und Geflüchtete zu Sündenböcken gestempelt. Insofern ist die »Sensibilisierung für Rassismus und rechtes Denken und Handeln« durch diesen wichtigen Aspekt zu ergänzen. Und, last but not least: Bildungsarbeit wird vervollständigt durch antirassistische und antifaschistische Politik. Ohne fortschrittliche Protestbewegungen, die öffentlichen Druck erzeugen, verändert sich nichts, weder in den Institutionen noch in den Individuen.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit Ihrer Arbeit.

Weitere Informationen zur Ausstellung: www.opfer-des-nsu.de