In der Wagenburg

von Günter Born
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Der NSU, die Polizei und der schwierige Weg zu einer Fehlerkultur

Der Unmut unter den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags wuchs von Minute zu Minute. Grund für die Missstimmung war der Auftritt des pensionierten Kripo-Beamten Georg Anders. Im April 2016 sollte er vor dem Ausschuss Auskunft geben über die damaligen Ermittlungen des seinerzeit von ihm geleiteten Dortmunder Staatsschutzes im Zusammenhang mit den Morden an drei PolizistInnen durch den Neonazi Michael Berger am 14. Juni 2000. Die Zeugenbefragung durch die Ausschussmitglieder blieb jedoch überwiegend ergebnislos. Anders gab vor, sich an nichts erinnern zu können – weder an Michael Berger noch an den maßgeblich in seinem Zuständigkeitsbereich aktiven »Nationalen Widerstand Ruhrgebiet«, der die PolizistInnenmorde in zynischer Weise abfeierte. Sogar die Androhung eines Ordnungsgeldes durch den Ausschussvorsitzenden Sven Wolf vermochte es nicht, dem Gedächtnis von Georg Anders auf die Sprünge zu helfen.

Polizei und Verfassungsschutz – »Erstarrte Organisationen«?

Auch wenn der frühere Kripo-Beamte die Kooperation mit dem Untersuchungsausschuss in besonders dreister Form sabotierte, war er keineswegs der einzige Zeuge aus den Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden, der auffallende »Erinnerungslücken« geltend machte und auch darüber hinaus einen verstockten und desinteressierten Eindruck hinterließ. Trotziges Beharren auf der in polizeilichen Kreisen immer noch verbreiteten Selbstsicht, bei den »Nicht«-Ermittlungen im Kontext der Verbrechen des NSU keine wesentlichen Fehler gemacht zu haben, oftmals verbunden mit einer bemerkenswerten Empathielosigkeit gegenüber den Opfern und deren Angehörigen, kennzeichnen bis heute die Auftritte der meisten GeheimdienstmitarbeiterInnen und PolizistInnen vor den diversen Untersuchungsausschüssen. Vom ständig in behördenoffiziellen und regierungsamtlichen Verlautbarungen beschworenen Aufklärungswillen konnte allenfalls in Ausnahmefällen die Rede sein. Mit Blick auf Verfassungsschutz und Polizei hat Barbara John, Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer der NSU-Morde von »erstarrten Organisationen« gesprochen, die »von außen« kaum zu ändern seien.
Bereits kurz nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 formierte sich eine »polizeiliche Wagenburg«, innerhalb derer Kritik an den vorurteilsbehafteten Ermittlungspraktiken ebenso als Anmaßung gedeutet wurde, wie die Forderungen, die Strukturen sowie die Aus- und Fortbildung der Polizei auf Sensibilität für extrem rechte und rassistische Haltungen hin grundlegend zu reformieren. Zu Wortführern dieser Verweigerungsmentalität avancierten die im DGB organisierte Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die kleinere, weiter rechts stehende Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG). Deren Vorsitzender Rainer Wendt machte sich schon zu einem frühen Zeitpunkt daran, die polizeilichen Reihen zu schließen. Als im Juni 2012 der damalige BKA-Präsident Jörg Zierke einräumte: »Wir haben versagt«, echauffierte sich Wendt, dass »derart pauschale Urteile völlig abwegig« seien. Den Verdacht des »institutionellen Rassismus« geißelte er als »völlig überzogenen, gefährlichen und populistischen Unsinn«. Nicht viel anders fielen die Reaktionen der GdP aus, deren stellvertretender Bundesvorsitzender Jörg Radek vor allem die »enorme seelische Belastung« seiner KollegInnen hervorhob, die im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen mit Rassismusvorwürfen konfrontiert seien.