Brandenburg: Quellenschutz vor Aufklärung

von Svenna Berger und Sven Kames
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

NSU-Kontakte, die er bestreitet, vor dem Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen aussagen. 2002 stand Stadler in Berlin wegen des Vertriebs von RechtsRock vor Gericht. Dass er spätestens seit 2000 für den Geheimdienst als Spitzel arbeitete, führte im Prozess zu einem Eklat. Der Richter am Landgericht Berlin warf dem Brandenburger Verfassungsschutz vor, den Neonazi geschützt, ihn mit Informationen und ‹sauberer› Technik ausgestattet, die Straftaten geduldet und die Strafverfolgung vereitelt zu haben. Er forderte damals, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet werden müsse. Dazu ist es nie gekommen.

Dass RechtsRock eine wichtige Rolle spielte, zeigt das verbotene »Blood & Honour«-Netzwerk in Brandenburg. Es bestand aus der Sektion Brandenburg, maßgeblich um Bands aus Potsdam, und der »Sektion Südbrandenburg«. Einen guten Draht soll es in den 1990er Jahren zwischen dem Potsdamer RechtsRock-Aktivisten Uwe »Uwocaust« Menzel und der sächsischen Sektion gegeben haben.

Die Aufarbeitung des NSU dreht sich jedoch nicht nur um direkte Kontakte, sondern verlangt eine Neubewertung des militanten Neonazismus im Ganzen. Die Verstrickungen der Behörden machen deutlich, dass der Aufbau und die Entwicklung von Neonazistrukturen in Brandenburg ohne den Verfassungsschutz nicht denkbar sind. Ein weiterer Skandal, der bis heute nicht aufgeklärt ist, betrifft nicht nur den Verfassungsschutz, sondern auch die Polizei. In den Jahren 2000 und 2001 hatte die sogenannte »Nationale Bewegung« mit mindestens 14 Propagandaaktionen und Brandanschlägen auf Denkmäler, die Jüdische Gemeinde, kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen sowie Imbisse die Landeshauptstadt terrorisiert. Der Neonazi und Verfassungsschutz-Spitzel Christian K. warnte den mutmaßlichen Polizei-Informanten Sven Sch. vor einer anstehenden Razzia. Da das LKA dieses Gespräch belauschte, konnten die Durchsuchungen im Februar 2001 vorverlegt werden. Dabei wurden zwar Schlag-, Stich- und Handfeuerwaffen samt Munition gefunden, jedoch keine Hinweise auf die »Nationale Bewegung«.
Vieles von dem, was der Ausschuss aufklären soll, liegt Jahre zurück. Nichtsdestotrotz wird sich das Gremium mit jüngeren Ereignissen beschäftigen müssen, denn es gibt zahlreiche Verbindungslinien in die heutige Zeit. Im vergangenen Jahr etwa wurde die bundesweit grassierende rassistische Protestbewegung gegen Asylsuchende auch in Brandenburg durch Gewalttaten flankiert. Es kam zu Brandanschlägen auf mehrere Flüchtlingsunterkünfte. Wie in Nauen, wo im August 2015 eine Turnhalle, die von Flüchtlingen bezogen werden sollte, niedergebrannt wurde. Nach monatelangen Ermittlungen folgten im März dieses Jahres mehrere Festnahmen. Mittlerweile wurde gegen sechs Beschuldigte Anklage wegen Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben. Die Liste der Straftaten umfasst neben der Brandstiftung unter anderem Angriffe auf Büros der Partei »Die Linke«. Anführer der Gruppe soll der regional bekannte NPD-Politiker Maik Schneider gewesen sein. Der Nauener Stadtverordnete, Jahrgang 1987, war an zahlreichen »Nein zum Heim«-Aufmärschen beteiligt und unterhielt Kontakte zu strammen Neonazis, die in den NSU-Ermittlungen eine Rolle spielen. So war er mit Maik Eminger vernetzt, dem Zwillingsbruder des im Münchner NSU-Prozess Beschuldigten André Eminger. Ersterer ist seit Jahren landesweit einer der umtriebigsten Neonazis. 2015 war er an der Gründung des Stützpunktes Potsdam-Mittelmark der Partei »Der III. Weg« beteiligt und zog mit der Kampagne »Ein Licht für Deutschland« durch das Bundesland. Er ist zudem im Netzwerk »Gefangenenhilfe« aktiv, das sich den gleichen Aufgaben verschreibt, wie die 2011 verbotene HNG.
Der Blick auf teilweise 25 Jahre alte Vorkommnisse führt direkt in die Gegenwart. Militanter Neonazismus bleibt virulent. Die ProtagonistInnen von einst sind weiterhin aktiv oder legten das Fundament für aktuelle Geschehnisse. Auch Verantwortliche aus der Brandenburger Politik und den Sicherheitsbehörden sind heute noch in Amt und Würden. Eine mögliche Erklärung dafür, warum sich viele von ihnen gegen eine wirkliche Aufklärung sträuben.

NSU Watch Brandenburg

Zeitgleich zum Untersuchungsausschuss gründete sich die Initiative »NSU Watch Brandenburg«, mit dem Ziel, die Arbeit im Potsdamer Landtag kritisch zu begleiten. Die Einrichtung des Gremiums wird von der Initiative begrüßt. Allerdings sei dies fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 »wahrlich kein Ruhmesblatt für die Brandenburger Politik«. Mit dieser Kritik stehen sie nicht allein: Nebenklageanwälte im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München kritisieren schon länger die fehlende Aufklärungsbereitschaft der Brandenburger Behörden, unter anderem, weil sich das Innenministerium weigerte, Akten an das Gericht herauszugeben, und VerfassungsschutzmitarbeiterInnen während der ZeugInnenanhörungen Gedächtnislücken vorschoben. Für die Initiative steht fest: »Die V-Mann-Skandale im Land Brandenburg haben gezeigt, dass das V-Leute-System mehr Schaden als Nutzen gebracht hat«. Durch die Arbeit des Verfassungsschutzes werde der Aufbau militanter Neonazistrukturen gestärkt, denn »hier werden Gelder in die Neonaziszene gepumpt«. Außerdem hätten antifaschistische und zivilgesellschaftliche Recherchen mehr zur Aufklärung beigetragen, als der Verfassungsschutz.
Der neue Untersuchungsausschuss braucht nicht das aufzuarbeiten, was im NSU-Prozess und anderen Ausschüssen bereits geklärt wurde. Er hat vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass das Bild vervollständigt wird, welche Brandenburger Strukturen den NSU unterstützt haben und welche Verantwortung die Behörden beim Aufbau von Neonazistrukturen hatten und haben. Die Chance dabei: Wenn es gelingt, das Mauern der Offiziellen zu knacken, wäre der Wahrheit und dem Anspruch, die NSU-Verbrechen aufzuklären, ein großer Dienst getan. Das Risiko zugleich: Der Ausschuss könnte daran scheitern, Licht in das Innenleben der Behörden zu werfen. Dann würden bekannte Fakten nur ein weiteres Mal auf den Tisch gepackt und letztlich ergebnislos rekapituliert.