Editorial Ausgabe 160


Editorial

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

die Wahlsiege der »Alternative für Deutschland« (AfD) haben wir – wie viele andere auch – befürchtet, hatten aber auch gehofft, das Blatt würde sich noch wenden. Nun sitzt die extrem rechte Partei in zahlreichen Kommunal- und Landesparlamenten, bekommt MitarbeiterInnen und Finanzmittel gestellt und kann das politische Klima in Deutschland immer stärker mitbestimmen. Eins steht fest: Der Rechtsruck der AfD hat ihr nicht geschadet.

Wer Flüchtlingsheime anzündet oder MigrantInnen angreift, kann damit rechnen, straffrei davon zu kommen. Medien haben kürzlich gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung die Zahlen aus 2013 und 2014 ausgewertet: 93 Prozent aller rassistischen und extrem rechten BrandstifterInnen und GewalttäterInnen wurden nicht bestraft. Gerade einmal zwei aus 100 kamen für ihre Taten ins Gefängnis. Und drei Viertel der TäterInnen wurden gar nicht erst ermittelt.

Dass fünf Neonazis aus Freital (Sachsen) am 19. April von einem GSG 9-Kommando in Haft genommen wurden, ist vor diesem Hintergrund eine absolute Ausnahme. Drei weitere saßen bereits in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft den Rechten vor, Mitglieder einer »Bürgerwehr« zu sein, die für rechten Terror in der sächsischen Kleinstadt verantwortlich sein sollen. Auf ihr Konto sollen drei Sprengstoffanschläge gehen. Freital ist im vergangenen Jahr zu einem Schauplatz rechter Angriffe und Aufmärsche gegen MigrantInnen – insbesondere Geflüchtete – und Linke geworden, unterfüttert von einer rassistischen Stimmung in der Bevölkerung. Auch wenn die Bundesanwaltschaft mit den Ermittlungen gegen die Freitaler Neonazis Hoffnungen macht, die miese Aufklärungsquote der Justiz etwas aufzubessern, ist der Umgang mit der rechten Gewalt in der Stadt untragbar: Unter den Augen der lokalen Polizei und Justiz konnte sich die Gruppe radikalisieren und die Betroffenen terrorisieren. Ob es über die acht Beschuldigten hinaus noch weitere Strukturen oder Netzwerke gibt, ist eine weitere ungeklärte Frage. Die Aktion der Bundesanwaltschaft und der GSG 9 sollte auch als Statement in Richtung der erfolglosen Strafermittlungs- und Verfolgungsbehörden im Freistaat Sachsen gewertet werden.

Wenn es dabei bleibt, dass der Generalbundesanwalt alle halbe Jahre ein Verfahren gegen rechte GewalttäterInnen übernimmt, die restlichen jedoch davon ausgehen können, zu den glücklichen 93 Prozent zu gehören, dann wurde hier noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs angekratzt.