Etablierte Erlebniswelten


seite_32-33_konzerte

von Jan Raabe

Konzerte stellen einen besonderen Erlebnisraum für den (jugend-)kulturellen Teil der extremen Rechten dar. Sie sind Orte der Selbstvergewisserung, der Initiation in ein »Wir« und der ideologischen Munitionierung. Hier werden Emotionen er- und ausgelebt, hier treffen sich alte und zukünftige KameradInnen, hier kann sich oftmals hemmungslos und offen durch »Sieg Heil«-Rufe oder das Zeigen des Hitlergrußes zum Nationalsozialismus bekannt werden. Konzerte sind ein hochgradig politisiertes Freizeitvergnügen.

In den letzten fast 30 Jahren etablierte sich zuerst in der BRD, dann im vereinigten Deutschland eine Praxis der Durchführung solcher Events. Dabei besteht weder bei den OrganisatorInnen noch bei den KonsumentInnen eine direkte personelle Kontinuität, ebenso haben sich die Rahmenbedingungen der Durchführung und deren Ablauf verändert. Gerade in den letzten beiden Jahren zeichnen sich neue Trends in der musikalischen Erlebniswelt der extremen Rechten ab. Zwar ist die Anzahl der Konzerte leicht zurückgegangen, dafür aber die der Liederabende gestiegen. Im Rahmen der rassistischen Proteste gegen Flüchtlinge kam es 2015 auch zu einigen Auftritten von Liedermachern im Rahmen solcher Proteste. Insgesamt hat sich die Zahl der Veranstaltungen auf hohem Niveau stabilisiert; ein genauer Blick zeigt jedoch eine Reihe von Veränderungen.

Ausverkauft

Am 17. Juni 2015 postet der Versand »Rebel Records« bei Facebook das erste Mal einen Flyer für ein Konzert am 8. August 2015 mit den Bands »Frontalkraft«, »Kommando Skin« und einer Überraschungsband. Der Verkauf der Karten startete kurze Zeit später über den Versand, via Facebook teilte das Label anschließend mit »Innerhalb von 22 min. waren alle Karten weg – WAHNSINN & RESPEKT!«. Dieses Konzert ist nur ein Beispiel von mehreren für eine veränderte Praxis im Konzertgeschehen. Bis vor kurzer Zeit war es so, dass die Informationen zu den Konzerten nur von Mund zu Mund, über SMS-Verteiler oder via E-Mail verschickt wurden. Selbst dass das Konzert überhaupt stattfinden sollte, wurde geheim gehalten. Am Tag der Veranstaltung wurde eine Telefonnummer veröffentlicht und die potentiellen TeilnehmerInnen erst zu Schleusungspunkten und von dort nach einer Gesichtskontrolle zum Konzertort geschickt oder geleitet. Das diente dem »Schutz« des Konzertes und stellte einen weiteren Thrill in der Erlebniswelt der extremen Rechten dar. Allerdings gelang es trotz konspirativer Vorbereitung und aufwendiger Schleusungsverfahren oftmals nicht, die Konzertorte vor der Polizei geheim zu halten, was häufiger dazu führte, dass Konzerte aufgelöst wurden. Der Ärger ist in solchen Fällen groß, vor allem wenn das Publikum oftmals hunderte von Kilometern gefahren ist, um an dem Konzert teilzunehmen. Viel Aufwand, eventuell noch eine Anzeige, verfahrenes Benzingeld – und das alles für nichts. Aus dieser Situation heraus haben sich in den letzten Jahren zwei Konzerttypen entwickelt, die es so zuvor nicht oder nur vereinzelt gab – auch wenn diese Entwicklungen nicht das Resultat des letzten Jahres sind, sondern eine Veränderung, die sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre herleitet. Dazu gehören eben vor allem die Auflösungen von Konzerten durch die Polizei, sei es weil keine, in einigen Bundesländern notwendige, Anmeldung vorlag oder sei es, weil volksverhetzende oder indizierte Lieder gespielt wurden. Eines der Merkmale dieser ausverkauften Konzerte, wie das von »Rebel Records«, ist, dass sich ein fester Kreis an OrganisatorInnen herauskristallisiert hat. Darunter befanden sich 2015 die Labels »Rebel Records« und »Frontschwein Records«, aber auch die »Hammerskins« stehen offensichtlich hinter einer Reihe von Konzerten. So zum Beispiel hinter dem ausverkauften »Joe Rowan Memorial Concert« am 31. Oktober 2015 im thüringischen Kirchheim: Joe Rowan war ein US-amerikanischer »Hammerskin«, der 1994 im Rahmen einer rassistisch motivierten Auseinandersetzung getötet wurde. Seitdem ist er einer der Helden gerade der »Hammerskins« und zu seinem Gedenken finden jährlich in verschiedenen Ländern Gedenkkonzerte statt.

Etablierte Orte

Verändert hat sich auch die Verteilung der Konzerte, damit ist nicht in erster Linie die Verteilung unter den Bundesländern gemeint – hier ist Sachsen immer noch das Bundesland mit den meisten Konzerten – sondern bezüglich der Lokalitäten, in denen die Konzerte stattfinden. Wurden über Jahre überwiegend unter falschem Vorwand, sei es eine Geburtstagsfeier, eine Hochzeit oder ein Nachwuchsband-Festival, die VermieterInnen über den wahren Charakter getäuscht, so existiert inzwischen eine Reihe von Veranstaltungsorten, die immer wieder für RechtsRock-Konzerte genutzt werden. Es war kein großes Geheimnis, dass das »Rock am Kreuz III« am 27. Februar 2016, das auf dem Flyer mit der Ortsangabe »Mitteldeutschland« beworben wurde, im thüringischen Kirchheim im »Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz«, der ehemaligen »Erlebnisscheune«, stattfinden sollte. Mindestens elf Veranstaltungen mit Livemusik aus der extremen Rechten fanden 2015 dort statt. Die Orte, die sich als regelmäßige Veranstaltungsorte von Konzerten der extremen Rechten etabliert haben, melden diese Veranstaltung an. Dabei handelt es sich überwiegend um Gaststätten oder Veranstaltungsräume, für die eine entsprechende Nutzungsgenehmigung und auch eine Schankgenehmigung vorliegt – so zum Beispiel in Thüringen die Gaststätte »Goldener Löwe«, die von dem Multiaktivisten Tommy Frenck (s. drr Nr. 155) betrieben wird und in der 2015 mindestens zehn Veranstaltungen mit Livemusik stattfanden. In Sachsen ist es vor allem der ehemalige »Gasthof Staupitz« in Torgau, in dem regelmäßig Konzerte stattfinden.

Diese Orte stehen im Gegensatz zu den konspirativ gemieteten Hallen quasi unter der Beobachtung der Polizei. Eine Dekoration mit Hakenkreuzfahnen, wie bei Untergrundkonzerten ist hier nicht zu realisieren. Wie Konzertberichte belegen, werden jedoch auch bei solchen angemeldeten Konzerten indizierte Lieder gespielt. Vermutlich schaut die Polizei so genau dann doch nicht hin, immerhin kann sie ja davon ausgehen, dass die extreme Rechte beziehungsweise die Neonazis hier unter sich bleiben. Und da Teile der Polizei jahrelang behauptet und selbst geglaubt haben, dass »privat« bei einer Veranstaltung bedeute, dass man von außen nichts hört, dürften sich viele der PolizeibeamtInnen sogar im Recht wähnen.

Parteienstatus

Eine Etablierung ist jedoch auch in einem anderen Bereich festzustellen. Es sind jene Auftritte von Bands und LiedermacherInnen, die durch Parteien als Versammlung angemeldet werden; auch wenn festgestellt werden kann, dass es einige von Parteien organisierte Festivals nicht mehr gibt, so wie das »Rock für Deutschland« oder das »Deutsche Stimme Pressefest«. Es finden jedoch weiterhin einige wichtige Veranstaltungen statt, die als Kundgebungen angemeldet werden und sich etabliert haben, so der von der NPD organisierte »Eichsfeldtag« und vor allem die »H8«-Konzerte, deren Veranstalter darauf achten, sowohl die NPD als auch »Die Rechte« einzubinden. Der Verfassungsschutz zählt in seinen Jahresberichten diese in der Kategorie »sonstige Musikveranstaltungen« auf. Dabei ist diese Kategorie von der Einordnung her problematisch, denn die bisherigen Kategorien »Konzerte« und »Liederabende« fokussieren eher auf den Ablauf und den im allgemeinen damit verbundenen Erlebnis-charakter, die neue Kategorie hingegen auf die formale Anmeldung. Warum aber soll nicht eine Partei ein Konzert veranstalten? Warum werden diese Veranstaltungen nicht auch als Konzerte oder Lieder-abende gezählt?

Diese durch Parteien angemeldeten Veranstaltungen genießen den ausdrücklichen Schutz des Versammlungsrechts; die Wahrscheinlichkeit, dass diese tatsächlich stattfinden, ist daher besonders groß. Hervorzuheben in diesem Bereich ist das »Live H8« 2015. Zumindest liefen die ersten Werbeflyer unter diesem Titel, der deutlich an die Konzerte in den letzten Jahren anknüpfte. Nachdem lange unter diesem Titel geworben wurde, änderte sich dieser dann in »Rock für Meinungsfreiheit« und das Programm wurde um einige RednerInnen ergänzt. Zum Erfolg des Konzertes mit ca. 1.500 BesucherInnen dürfte gehört haben, dass sowohl VertreterInnen von NPD und »Die Rechte«, als auch eines lokalen Wahlbündnisses auf der Bühne standen, neben hochkarätigen Bands, die selbstverständlich für die meisten der eigentliche Grund zur Anreise gewesen sein dürften. Dass die Veranstalter Tommy Frenck und Patrick Schröder tagesaktuell vom Aufbau des Festzelts und andere Details berichteten und bundesweit Busse zu dem Event fuhren, dürfte viele überzeugt haben, dass die 25 Euro pro Eintrittskarte sich lohnen. Das nächste »H8«-Konzert, dieses Jahr unter dem Namen »Rock für Meinungsfreiheit«, war für den 7. Mai angekündigt und fand mit etwa 3.500 BesucherInnen statt. Festzuhalten ist, dass unterschiedliche Parteien, inzwischen neben der NPD auch »Die Rechte« und »Der III. Weg«, Konzerte und Liederabende als angemeldete Kundgebungen veranstalten.

Ausland

Mit mindestens 46 Konzerten im Ausland, bei denen deutsche Bands 2015 auf der Bühne standen, ist die Zahl dieser RechtsRock-Konzerte wieder leicht angestiegen. Eine besondere Stellung nimmt dabei die Band »Kategorie C« ein, die in den letzten Jahren besonders oft Konzerte in Nordrhein-Westfalen, sei es im Ruhrgebiet oder im Raum Aachen ankündigte, die dann in den Niederlanden oder in Belgien stattfanden. Hier ist der Druck der Behörden deutlich geringer als in Deutschland. Fünf der Konzerte mit deutschen Bands im Ausland wurden von den »Hammerskins«, elf von den nationalen »Blood & Honour«-Divisionen organisiert. Was in Deutschland verboten ist, kann jenseits der Grenze fröhlich stattfinden. Die Events verteilten sich im letzten Jahr auf 13 Länder, mit neun fanden die meisten in Italien statt, je fünf in Frankreich, Großbritannien, Schweden, der Tschechischen Republik und Ungarn.

Reingrätschen

Die Konzentration auf einzelne Orte und offen mobilisierte Events ermöglicht im Gegensatz zu klandestin geplanten Konzerten die Organisation von Gegenprotesten und Aktionen. Gegen die etablierten Veranstaltungslokale oder Hallen können Kampagnen organisiert werden. Das ist -sicherlich keine leichte Aufgabe, haben sich die AkteurInnen der extremen Rechten doch Orte und Gegenden ausgesucht, die oftmals weit weg von den Metropolen liegen. Angesichts der Abgeschlossenheit der Konzerte und sogar der als Kundgebung angemeldeten Events besteht die Gefahr, dass das Bewusstsein für die Bedeutung und die Gefahr dieser Konzerte schwindet.