Sachsen-Anhalt

von Regina Hebestreit und Werner Golze

Magazin »der rechte rand« - Ausgabe 160 - Mai 2016

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Nach dem Wahlerfolg der »Alternative für Deutschland« in Sachsen-Anhalt rückt die politische Kultur des Landes spürbar nach rechts: Szenen eines rechten Triumphzuges.

Am 13. März 2016 hatte die »Alternative für Deutschland« (AfD) zur Wahlparty in ein Tagungszentrum am Rande der Altstadt von Magdeburg geladen. Schon am späten Nachmittag sickerte durch, dass die Rechtspartei deutlich mehr als die zuletzt prognostizierten 17 bis 18 Prozent erhalten werde. Wenig später ist klar: Sie erzielt in Sachsen-Anhalt 24,2 Prozent der Stimmen und erringt 15 Direktmandate. Eines der ersten ausführlichen Interviews des Abends gibt Spitzenkandidat André Poggenburg für »Compact TV«, den Videostream des gleichnamigen Printmagazins »Compact«. Chefredakteur Jürgen Elsässer hat sich im Erdgeschoss des Tagungszentrums mit einem improvisierten Fernsehstudio einquartiert und berichtet live. Er interviewt Poggenburg im Wechsel mit Götz Kubitschek, dem Chef des rechten Verlages »Antaios« und der Zeitschrift »Sezession«. Ganz auf der Linie des Thüringer AfD-Fraktionschefs Höcke verkündet Poggenburg, man werde weiterhin auf der Straße aktiv sein und sich nicht im Parlament in Gesetzesentwürfen und Anträgen verheddern. Doch als Elsässer von Poggenburg eine Strategie zum raschen Sturz des Regimes – gemeint ist die Bundesregierung – fordert, weicht dieser aus. Das sei zwar wünschenswert, man werde sich aber zunächst auf die Bundestagswahlen 2017 konzentrieren. Kubitschek hingegen sucht die Euphorie zu dämpfen. Er warnt vor einer »Oligarchisierung« der AfD im Parlament und lobt zugleich die ostdeutschen Landesverbände für ihren rechten Bewegungskurs.

Den VertreterInnen der anderen Parteien stand der Schock des Abends ins Gesicht geschrieben. Zwar hatte man einen Einzug der AfD in den Magdeburger Landtag bereits bei über zehn Prozent vorhergesagt. Dass es jedoch 24,2 Prozent wurden, hinterließ viele LandespolitikerInnen zunächst sprachlos. Zuletzt hatten die Demoskopen die Partei bei 19 Prozent gesehen. In den Tagen nach der Wahl wurden die Details bekannt. So hat die AfD südlich der Stadt Halle/Saale der CDU sämtliche Direktmandate abgenommen; in Bitterfeld erreichte sie mehr als 33 Prozent der Zweitstimmen. Im Nachgang wird zudem bekannt, dass der AfD ein weiterer Sitz zusteht, »DIE LINKE« hingegen einen abgeben muss. So kommt die Partei am Ende auf 25 Mandate im Landtag.

Die AfD hat nun Zugriff auf umfängliche finanzielle und personelle Ressourcen. Die Fraktion werde bis zu 30 MitarbeiterInnen einstellen, heißt es. Monatlich stehen ihr mehr als 100.000 Euro Finanzzuweisungen der Landtagsverwaltung zu. Hinzu kommen Wahlkreisbüros und ein Dienstwagen. Entgegen ihrem Vorhaben, preußische Tugenden wie Sparsamkeit zur Norm der Politik zu erheben, hat die Fraktion, der Poggenburg vorsteht, bereits ein pragmatisches Verhältnis zu Geld entwickelt. So konstituierte sie sich, um ihr im März zustehende Gelder noch beanspruchen zu können, am letztmöglichen Tag, dem 30. März.

Rechte Vorreiter: der Landesverband Sachsen-Anhalt

Bereits in der Amtszeit des ehemaligen Parteivorsitzenden Bernd Lucke hatte sich der Landesverband Sachsen-Anhalt rechtsaußen positioniert. André Poggenburg gehörte zu den Initiatoren der sogenannten »Erfurter Resolution« um den Thüringer Björn Höcke, die unter dem Namen »Der Flügel« im Sommer 2015 symbolträchtig zu einem Fest am Fuße des Kyffhäuserdenkmals im Süden Sachsen-Anhalts geladen hatten (s. drr Nr. 157). Noch vor seinen medienträchtigen Auftritten auf dem Erfurter Domplatz hatte Höcke seine völkischen Politikziele umrissen.

Poggenburg und Kubitschek pflegen einen »stabilen Kontakt«, wie es letzterer nach der Wahl im März beschrieb. Der Landesvorsitzende hatte sich 2015 für eine Mitgliedschaft Kubitscheks und seiner Frau, Ellen Kositza, in der AfD eingesetzt, zu einem Zeitpunkt, als dies der Bundesvorstand um Lucke und Henkel noch ablehnte. Zwar sind beide nicht Mitglieder der Partei, nach der völkisch-nationalistischen Wende der AfD ist das aber auch nicht mehr nötig. Kositza hatte laut »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) Anteil an der Ausgestaltung von Wahlkampfmaterialien der AfD Sachsen-Anhalt. Offensiv bot Kubitschek der neuen Landtagsfraktion nach der Wahl an, beim »Institut für Staatspolitik« (IfS) politische Expertise einzuholen. Öffentlich kokettierte er damit, Leute aus dem Umfeld des neu-rechten Think-Tanks seien durchaus als Mitarbeiter der Landtagsfraktion geeignet.

Die AfD und völkische Ex-Neonazis

Ein Sonntag Anfang April in Wernigerode im Harz: Die örtliche Gruppe der »Identitären Bewegung« (IB) hat zu einer Kundgebung unter dem Motto »Ein Licht in Wernigerode gegen die Flüchtlingspolitik« eingeladen. Bereits seit Wochen organisieren die IB-AnhängerInnen in den Harzstädten Halberstadt, Blankenburg und Wernigerode solche Aktionen. Heute ist der frischgebackene AfD-Landtagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt als Redner angekündigt. Vor etwa 50 Teilnehmenden vor dem Wernigeröder Rathaus redet er ganz in der Diktion der völkischen »Identitären« über »den großen Austausch« und den Mangel an »Reproduktion« der deutschen Bevölkerung. Unter den TeilnehmerInnen sind auch ehemalige AktivistInnen der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) und der zuvor im Harz aktiven Neonazi-Gruppe »Wernigeröder Aktionsfront«, die sich nun bei den »Identitären« beteiligen. Während Schmidt redet, bedrängen anwesende Neonazis ein Filmteam des MDR so lange, bis endlich die Polizei Einhalt gebietet. Angesprochen auf die Teilnahme Schmidts an der Kundgebung der »Identitären« äußert sich Fraktionschef Poggenburg gegenüber dem MDR, es gebe keine formale Verbindung der AfD zu den »Identitären«. Das ist zutreffend, sagt jedoch zur Frage der ideologischen Überschneidungen nichts aus.

Keine Berührungsängste zu den »Identitären« hat der Abgeordnete Hans Thomas Tillschneider. Anlässlich eines Vortrags bei der Gruppe »Kontrakultur« in Halle machte er klar, dass die »Identitären« zum engen Umfeld der AfD-Fraktion zählen. Es gehe darum, »Möglichkeiten gegenseitiger Unterstützung auszuloten«, berichtete die Gruppe bei Facebook. Bereits vor den Landtagswahlen hatte »Kontrakultur« auf sich aufmerksam gemacht. In einer nächtlichen Aktion wurde die Landesgeschäftsstelle der Migrantenselbstorganisation LAMSA zugemauert, um gegen eine von der Landeszentrale für politische Bildung unterstützte Probewahl für MigrantInnen zu protestieren. Am Tag danach setzten die Rechten ihre Propagandaaktion auf dem Markt in Halle unter Leitung des österreichischen »Identitären«-Obmanns Martin Sellner fort. Sellner hielt sich zu einer Art politischen Praktikums in Schnellroda auf, dem Sitz des IfS und des Verlags »Antaios«.

Ende April wurde bekannt, dass Jan Wenzel Schmidt den ehemaligen NPD-Kader Stefan Träger als persönlichen Mitarbeiter eingestellt hat. Die Entscheidung, Träger einzustellen, sei in der Fraktion umstritten gewesen, liege jedoch allein bei Schmidt, ließ der Fraktionsgeschäftsführer Roi die Presse wissen. Träger habe sich glaubhaft von der NPD distanziert, und die AfD bereits seit längerem unterstützt. Aufgrund seiner vormaligen NPD-Mitgliedschaft könne er jedoch gemäß Parteisatzung nicht der AfD beitreten.

Ganz normal? Erste parlamentarische Schritte der AfD

Einen Vorgeschmack auf die künftige politische Atmosphäre im Landtag gab es bei der konstituierenden Sitzung Mitte April. Da die AfD die stärkste Oppositionsfraktion stellt, hat sie Anspruch auf den Posten des ersten Landtagsvizepräsidenten. Für dieses Amt nominierte sie den Abgeordneten Daniel Rausch, nicht ohne die Fraktion »DIE LINKE« aufzufordern, aus Gründen der Steuerersparnis auf ihren Anspruch auf den zweiten Vizepräsidenten zu verzichten. Was dann in den Wahlgängen geschah, kam einem parlamentarischen Erdbeben gleich. Rausch erhielt offenkundig auch Stimmen aus der CDU-Fraktion, während der Kandidat von
»DIE LINKE« im ersten Wahlgang durchfiel. Dieses Wahlverhalten eines Teils der christdemokratischen Abgeordneten wirft ein Schlaglicht auf deren Verhältnis zur AfD. Bereits wenige Tage später hieß es aus Kreisverbänden der CDU, langfristig solle man eine Koalition mit der Rechtspartei nicht ausschließen. Auch eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung der CDU sollen einige PolitikerInnen ins Gespräch gebracht haben. Die Wahl des Landtagsvizepräsidenten veranlasste die »Mitteldeutsche Zeitung« zu der Diagnose, im Landtag rieche es nach Weimarer Republik. Gemeint war der massive Rechtsruck in der CDU-Fraktion, dokumentiert im Stimmverhalten zu Gunsten von Rausch.

Das Selbstbewusstsein der AfD-Fraktion scheint keine Grenzen zu kennen. Keine Gelegenheit ließ Poggenburg in den ersten Wochen nach der Wahl aus, darüber Klage zu führen, dass und wie er und seine Fraktion von den »Altparteien« im Parlament schon jetzt diskriminiert würden. Die AfD hat angekündigt, sich einem Gewinnerthema oppositioneller Parteien zu widmen, den Abwassergebühren. Die Empörung gerade in ländlichen Regionen über die Forderung der Abwasserzweckverbände nach horrenden Nachzahlungen ist ein idealer Boden für populistische Kampagnen. Über die interne Gruppendynamik der AfD-Fraktion drang bislang nichts nach außen. Es steht jedoch zu erwarten, dass vor den inhaltlichen Fragen die Machtverteilung geklärt werden wird. Ob Poggenburg dabei der starke Mann in Partei und Fraktion bleiben wird, bezweifeln einige. Als eigentlicher Machtstratege gilt der aus Raguhn stammende Abgeordnete Daniel Roi, der im Hintergrund den Wahlkampf organisierte.

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Schwergewicht im Parlament

Eine politische Strategie gegen die AfD ist im Land bislang nicht erkennbar. In den Wochen nach der Wahl war eine regelrechte Schockstarre bei AkteurInnen in Politik und Gesellschaft zu beobachten. In Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden hat eine Debatte darüber begonnen, wie eine Auseinandersetzung mit den Politikangeboten der rechten Partei aussehen kann und wie die aus dem Nicht-WählerInnenlager der AfD zugeströmten Stimmen wieder zurückgewonnen werden könnten. Das Spektrum der Vorschläge reicht von Dialogangeboten an die WählerInnenschaft über die Forderung nach einer Demokratieoffensive in der politischen Bildung bis zu Überlegungen, wie die Partei inhaltlich zu stellen sei. Die SPD ist mit 10,2 Prozent regelrecht abgestraft worden, die Grünen sind mit knapp fünf Prozent gerade so wieder in den Landtag eingezogen. Die sachsen-anhaltischen ChristdemokratInnen unterschieden sich von den sächsischen bislang durch ihre demonstrative Ideologieferne. Niemand in der Partei ritt bisher polarisierende national-konservative Steckenpferde. Ob die CDU unter dem Druck von rechts bei diesem pragmatischen Kurs bleibt, gilt abzuwarten. Neuwahlen hingegen müssten alle Parteien außer der AfD fürchten, die in diesem Falle noch stärker als zuvor abschneiden dürfte.

Starke Verluste musste auch »DIE LINKE« hinnehmen. Ihr fehlt es künftig schlicht an Ressourcen und Personal, die Auseinandersetzung mit der Rechtspartei mit besonderem, die Politikbereiche übergreifendem Augenmerk zu führen. Zwar ist die AfD nur in der Opposition, doch sie hat durch ihr Schwergewicht im Parlament schon jetzt die politischen Koordinaten des Landes Sachsen-Anhalt nach rechts verschoben.