Konservativ, reaktionär, nationalistisch, rechtspopulistisch

von Gerd Wiegel

Magazin »der rechte rand« - Ausgabe 160 - Mai 2016

Der Entwurf zum Parteiprogramm der AfD spiegelt die politischen Vorstellungen einer konservativ-reaktionären, nationalistischen und rechtspopulistischen Partei wider. Hinter dem Versprechen einer Alternative verbirgt sich die Rückkehr zur verstaubten, autoritären, hierarchisch gegliederten und patriarchal strukturierten Gesellschaft der 1950er Jahre. Alle emanzipatorischen Errungenschaften, die mit dem Stichwort »1968« verbunden werden, sollen rückgängig gemacht und zugunsten eines tradierten und bis dahin vorherrschenden Gesellschafts- und Familienbildes überwunden werden. Nation und nationale Politik jenseits europäischer und internationaler Einbindung sollen nach den Vorstellungen der AfD zum Leitfaden der Politik werden. ‹Deutschland zuerst› und im Notfall gegen alle anderen – nach dieser Maßgabe strebt die Partei eine grundlegende Neuorientierung deutscher Außen- und Militärpolitik an. Die Nation begreift sie als völkisch definierten Schutzraum vor den Gefahren der Globalisierung, womit den Dazugehörenden Vorrechte gegenüber allen anderen eingeräumt werden sollen. Sozialpolitisch stellt sich die AfD als Vertreterin der angeblichen LeistungsträgerInnen der Gesellschaft dar. Der Duktus des Programmentwurfs ist dabei der rechtspopulistischen Attitüde des »wir hier unten« gegen »die da oben« entlehnt, mit dem die »Alternative für Deutschland« zu einem vermeintlich grundlegenden Systemwechsel aufruft.

Flügelkämpfe

Der Programmentwurf und eine kurz vor seiner Veröffentlichung geleakte Vorgängerversion zeigen, dass die Flügelkämpfe innerhalb der AfD nicht überwunden sind. Der schließlich zum Parteitag verbreitete Entwurf ist an zahlreichen Stellen entschärft worden. Auffallend ist dabei die Rücknahme marktradikaler Forderungen wie die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung. Der Ruf nach der Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl wurde ebenso aus dem Entwurf genommen wie der nach der Streichung staatlicher Unterstützung für Alleinerziehende. Offensichtlich wurden die in der Programmkommission nach wie vor vorhandenen Marktradikalen in letzter Sekunde zurückgepfiffen, um den Anspruch, »Partei der kleinen Leute« zu sein, nicht sofort ad absurdum zu führen. Schließlich wurde der Tonfall des finalen Kulturkampfes gegen das alte System, der typisch für die neu-rechten Einflüsse des Höcke-Flügels ist, abgemildert. »Linke« Themen sind das Bekenntnis zum Mindestlohn, die Kritik an TTIP und die Beseitigung ökonomischer Fluchtursachen.

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^ Christen in der AfD gibt es viele – Aufmarsch im Oktober 2015 gegen Flüchtlinge in Berlin

 Privat vor Staat: neoliberaler Blickwinkel in der Sozialpolitik

»Nur ein schlanker Staat kann daher ein guter Staat sein«, mit diesem neoliberalen Bekenntnis zum Rückzug des Staates vor allem aus seiner Rolle als sozialer Anker für schwache Gruppen der Gesellschaft bekräftigt die AfD ihre ideologische Herkunft aus den bürgerlichen Eliten. Ganz im Sinne marktradikaler Ideologen soll sich der Staat auf vermeintliche Kernaufgaben zurückziehen, zu denen gerade nicht die soziale Sicherung der Bürgerinnen und Bürger gehört.

Nach mehr als zwanzig Jahren Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung, nach der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und der Preisgabe öffentlichen Besitzes spricht die AfD von einer »Expansion der Staatsaufgaben«. Was sich hier ausdrückt, ist die Weigerung des begüterten Bürgers, sich als Steuerzahler noch länger an der rudimentären Versorgung derer zu beteiligen, die in schlecht entlohnten, prekären oder gar keinen Arbeitsverhältnissen stehen. Folgerichtig tritt die Partei für die weitere Privatisierung öffentlicher Aufgaben ein: »Wir wollen prüfen, inwieweit vorhandene staatliche Einrichtungen durch private oder andere Organisationsformen ersetzt werden können.« Die geforderten »grundlegenden Reformen«, die »auch die Sozialversicherungen« betreffen sollen, lassen Schlimmes befürchten. Denn als Problem gilt nicht die für ein reiches Land skandalöse soziale Situation vieler Menschen, sondern die durch die Sozialabgaben entstehenden Belastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem die Wirtschaft.

Wessen Interessen die Partei vertritt wird klar, wenn die »Überprüfung der Gewerbesteuer«, die Abschaffung der Vermögenssteuer und die »ersatzlose« Streichung der Erbschaftssteuer gefordert werden. Schließlich macht sich die AfD vor allem Sorgen um das Steuer- und Bankgeheimnis, das es wieder zu wahren gelte. »Steuerdaten deutscher Bürger sind sensible Daten und sollten vom Staat vertraulich behandelt und nicht mit anderen Institutionen oder fremden Staaten ausgetauscht werden.« Steuerflüchtlinge und BetrügerInnen vom Schlage eines Uli Hoeneß sind es, für die die AfD offensichtlich Politik machen will.

National statt international:

Militarisierung und nationalistische Außenpolitik

Den Gedanken einer internationalen Ordnung und die Existenz von »multinationalen Großstaaten« denunziert die AfD als »ideengeschichtlich alte Utopie«, die »stets großes Leid über die Menschen gebracht« habe. Dem entgegengestellt wird der ethnisch möglichst homogene Nationalstaat. Gegen den Gedanken der europäischen Integration steht die Partei für »ein Europa der Vaterländer« und eine Rückabwicklung der EU zu einer Freihandelszone. Politisch soll dieses Europa jedoch wieder in das Gegeneinander der Nationalstaaten zerfallen, das sich gegenwärtig abzeichnet. Den Euro will die AfD in jedem Fall verlassen, notfalls soll darüber eine Volksabstimmung entscheiden.

»Fremd«schulden, »Fremd«bestimmung und wohlmöglich »fremde« Kulturen in der EU sind der Hintergrund der EU-Kritik. Aus diesem Grund soll die deutsche Außenpolitik generell stärker national geprägt werden und weniger auf internationale Zusammenarbeit setzen. Letzteres denunziert die Partei als »orientierungslose Anpassungspolitik«, wodurch »zunehmend andere Staaten und Institutionen die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik beeinflussen und steuern«. Dadurch sei Deutschland auf den Schutz anderer angewiesen und könne »eigene Interessen nicht angemessen vertreten«. Demgegenüber will die AfD die »nationalen Interessen« in den Mittelpunkt stellen, womit sie eine massive Aufrüstung und eine Militarisierung der Außenpolitik fordert.

Flucht und Migration als Diskurs der Bedrohung

Die gesamten Ausführungen des Programmentwurfs zu den Themen Flucht, Migration und Integration sind mit einem Bedrohungsszenario unter-legt: Bedrohung deutscher Kultur, Bedrohung deutscher Frauen, Bedrohung des wirtschaftlichen Erfolgs, Bedrohung der schulischen Leistungsfähigkeit und immer wieder Bedrohung durch Kriminalität, die durchweg mit Migrantinnen und Migranten in Zusammenhang -gebracht wird. Ideologischer Hintergrund der AfD-Position zur Migra-tion ist die ethno-pluralistische Vorstellung, dass nur ethnisch homogene Gesellschaften stabil sind. So ist denn die größte Sorge der Partei bei diesem Thema die »unaufhaltsame Besiedlung Europas, insbesondere Deutschlands, durch Menschen aus anderen Kulturen und Weltteilen«. Deutsche Identitätspolitik ist ein Kern der AfD und Migration wird als Angriff auf diesen Kern gewertet. AusländerInnenbehörden bezeichnet der Entwurf durchgehend als »Sicherheitsbehörden«, womit Zuwanderer automatisch zu Sicherheitsrisiken ernannt werden. Schließlich gehört für die Partei ganz klar der Islam »nicht zu Deutschland« und islamische Religionsausübung streng reglementiert. 

Familien- und Geschlechterbild

Neben Menschen, die die AfD aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens nicht zur deutschen Leitkultur rechnet, richtet sich der Programmentwurf vor allem gegen Frauen und alle Lebensentwürfe, die einem konservativen Familienbild widersprechen. »Gender« ist das Teufelswort, gegen das das Schriftstück in geradezu manischer Art und Weise agitiert. Neben dem Islam gehe die größte Bedrohung von der »Gender-Ideologie« und alldem, was damit herbeiphantasiert werde, aus. Ziel ist der stärkere Rückbezug auf traditionelle Geschlechterrollen. Im Widerspruch dazu favorisierten die Wirtschaft und »ein falsch verstandener Feminismus« einseitig Frauen im Erwerbsleben, gegen die die Partei immer wieder die Mutterrolle hervorhebt. Denn deren Stärkung sei auch die Lösung der »demographischen Fehlentwicklung« in Deutschland, wohingegen die herrschende Politik dieses Problem durch »eine fortgesetzte (…) Masseneinwanderung hauptsächlich aus islamischen Staaten« lösen wolle. Dies führe aber zur Erosion des sozialen Zusammenhalts, des gegenseitigen Vertrauens, der öffentlichen Sicherheit und zu einer »konfliktträchtigen Multi-Minoritätengesellschaft«.

Gender-Forschung ist auch im Bildungsbereich das zentrale Feindbild der AfD. Behauptet man zwar generell, jede politische Einflussnahme auf Wissenschaft und Forschung abzulehnen, so heißt es hier apodiktisch: »Bestehende Genderprofessuren sollten nicht mehr nachbesetzt, laufende Gender-Forschungsprojekte nicht weiter verlängert werden.« Auch in der Schule soll die Thematisierung anderer Lebens- und Liebesformen, die das Programm als »Frühsexualisierung« denunziert, keinen Platz mehr haben.

Rechtspopulismus, Kulturkampf und Attitüde der Systemkritik

Der bisherige Erfolg der Partei gründet auf der selbstgewählten Attitüde als grundlegender Alternative zum etablierten Politikbetrieb. Diese Haltung ist allen Parteien des Rechtspopulismus zu Eigen; die AfD versteht sich als Ausdruck einer schweigenden Mehrheit, des -»gesunden Menschenverstandes« und behauptet, für eine grundlegende Alternative zu stehen.

Dieses Selbstverständnis findet sich an vielen Stellen im Programm, vor allem in der Beschreibung der politischen Zustände: »Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien. (…) Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat. Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann diesen illegitimen Zustand beenden.«

Diese Passage ist typisch für rechtspopulistische Argumentationen und verdeutlicht die Gegenüberstellung von »illegitimer«, weil vom Volk abgehobener, politischer Macht und dem Anspruch der AfD, die Interessen »des Volkes« zum Ausdruck zu bringen.

Ausblick

Vom Parteitag Ende April 2016 ist eine neuerliche Verschärfung -bestimmter Passagen des Programms zu erwarten. Anträge zur Einschränkung islamischer Religionsausübung und zu weiteren rechten Zuspitzungen liegen bereits vor. Der Alternativentwurf aus Niederbayern entspricht in großen Teilen den neu-rechten Vorstellungen des Höcke-Flügels der -Partei und wird von diesem auch offen favorisiert.

Entgegen der allgemeinen Deutung haben die Landtagswahlen zu einer Stärkung des bürgerlich-konservativen Flügels um Meuthen geführt. Während in Sachsen-Anhalt gut 200.000 Menschen die AfD gewählt haben, waren es in Baden-Württemberg gut 800.000. Der Landesverband im Südwesten repräsentiert knapp 4.000 Mitglieder der Partei, in Sachsen Anhalt sind es gut 300. Es ist also zu erwarten, dass sich dieser Flügel zukünftig stärker bemerkbar machen und den Richtungsstreit befeuern wird.